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Euwopawahl 2024: Europäisch und queer wählen – wie machen?

Europäisch und queer wählen – wie machen?

Ein queerer Blick in die Wahlprogramme

(RoZ) Oldenburg. Am 9. Juni wird gewählt – mancherorts zusätzlich lokal, aber vor allem europäisch. Es werden die Mitglieder*innen des Europaparlaments neu bestimmt. Das ist eine gute Gelegenheit zu schauen, was die Parteien für die LGBTQIA*-Familie planen! Entsprechend habe ich mir die Wahlprogramme zu queeren Themen angesehen.

Die CDU (Christlich Demokratische Union) mit ihrer Schwesterpartei CSU ist dabei schnell abgehakt: Unter den Blick einer „europäische Leitkultur“ sehen die Christdemokrat*innen Ehe und Familie als Keimzelle der Gesellschaft. Da auf eine Erklärung verzichtet wird, was unter Familie zu verstehen ist, können wir uns vielleicht mitgemeint fühlen – oder auch nicht.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) wirbt für eine verbesserte Sexualaufklärung. Ein eigenes Kapitel im Wahlprogramm zielt darauf, die Rechte queerer Menschen zu schützen. Dabei beziehen sich die Sozialdemokrat*innen vor allem auf die vom Europäischen Parlament beschlossene LGBTIQ+ Freedom Zone.  Diese ist eine Antwort auf die in über 100 polnischen Gemeinden beschlossene LGBT-freien Zonen und hat eher symbolischen Charakter. Die Sozialdemokrat*innen fordern konkret in ihrem Programm: „Wir stellen uns hier jedweden Diskriminierungen und Anfeindungen in den Weg. Wir fordern die EU-Kommission als Hüterin der Verträge auf, hart auf das LGBTIQ+-feindliche Vorgehen einzelner Mitgliedsstaaten zu reagieren. Sie sind mit dem Wertekanon der Europäischen Union unvereinbar. Sie müssen gestoppt und rückgängig gemacht werden. Zudem fordern wir, dass europäische Regenbogenfamilien nicht in ihrer Freizügigkeit gehindert und eingetragene Lebenspartnerschaften und gleichgeschlechtliche Ehen in der ganzen EU anerkannt werden.“

Bündnis 90/ Die Grünen beschäftigen sich traditionell intensiv mit queeren Rechten in ihrem Programm und machen dort vor allem den Fokus der weltweiten Durchsetzung ihres Verständnisses der Menschenrechte stark: „Wir fordern, dass die EU in ihren Außenbeziehungen weltweit zur Vorreiterin im Kampf gegen sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt wird.“ Gleichzeitig wird die Durchsetzung dieser Prinzipien auch in den EU-Mitgliedsländern eingefordert. Für Bündnis 90/ Die Grünen ist die freie Entfaltung und das Ausleben der eigenen Individualität Kern europäischer Werte. Sie nehmen dabei für sich in Anspruch, dass der Beschluss zur LGBTIQ+ Freedom Zone aus ihren Initiativen heraus entstanden sei.

Konkret fordern sie: „Um Queerfeindlichkeit zu bekämpfen, setzen wir uns dafür ein, dass die LGBTIQ*-Gleichstellungsstrategie der Europäischen Kommission über 2025 hinaus fortgeführt wird und wirken auf ihre Weiterentwicklung unter Beteiligung der Zivilgesellschaft hin. Wir wollen eine EU-weite mehrsprachige Beratungshotline einrichten, an die sich Opfer von Queerfeindlichkeit wenden können, um niedrigschwellige Beratung zu erhalten. Familie ist dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen – zum Beispiel mit zwei Müttern, zwei Vätern, mehreren Elternteilen, alleinerziehend oder mit Mutter und Vater. Wir setzen uns für die Gleichstellung von Zwei-Mütter-Familien und für ein diskriminierungsfreies Leben von Regenbogenfamilien ein. Landesgrenzen dürfen nicht darüber entscheiden, ob Kinder mit ihren Eltern aufwachsen, denn das Recht auf Freizügigkeit muss auch für Regenbogenfamilien ohne Wenn und Aber gelten. Wir streiten dafür, dass eine in einem EU-Land begründete Elternschaft, eingetragene Partnerschaft, erweiterte Sorgerechtserklärung oder gleichgeschlechtliche Ehe in der gesamten Union anerkannt wird.

Die FDP (Freie Demokratische Partei) sieht ebenfalls die Universalität der Menschenrechte als Grundlage. Die Freien Demokrat*innen fordern entsprechenden Druck in der weltweiten Entwicklungszusammenarbeit, um LSBTIQ-feindliche Regelungen in anderen Ländern  zu sanktionieren. Die Freien Demokrat*innen richten in ihren Forderungen den Blick insbesondere nach außen und auf andere EU-Staaten und bleiben bei der Sicherstellung des vorhandenen Status Quo: „Wir wollen ein Europa der Vielfalt. Der Schutz von Minderheiten ist innerhalb einer demokratischen Gemeinschaft Voraussetzung und Anliegen des Rechtsstaats. […]. Wir fordern, dass Demonstrationen von LSBTIQ unionsweit ungehindert und sicher stattfinden können. Einschränkungen, über das Leben von LSBTIQ sachlich aufzuklären, darf es nirgends in der EU geben. Wir fordern, dass innerhalb der EU geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen und festgestellte Elternschaften mit allen Rechten und Pflichten in den europäischen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Reproduktive Rechte wie Eizellspende und altruistische Leihmutterschaft müssen, wenn sie in einem EU-Mitgliedstaat rechtmäßig in Anspruch genommen wurden, in anderen EU-Staaten geachtet werden und dürfen für ihre Staatsbürger nicht unter Strafe gestellt werden. Die „Verfolgung wegen sexueller Identität“ bleibt für uns ein Asylgrund in Europa. Rechtsakte der EU, die gegen Diskriminierung aufgrund von Rassismus gelten, müssen künftig auch Homophobie und andere Diskriminierung umfassen. Weder für Mitgliedstaaten noch für Beitrittskandidaten darf es einen Rabatt bei der Achtung der Bürgerrechte von LSBTIQ geben. Mittel der EU an die betroffenen Länder sind bei Verstößen einzufrieren.“

Die Partei Die Linke hat das ausführlichste Kapitel zu queerem Leben in der EU. Sie macht deutlich, dass es Unterschiede in der rechtlichen Gleichstellung von LGBTQIA* zwischen den verschiendenen Ländern gibt, arbeitet aber heraus, dass in allen Ländern Handlungsbedarf besteht:

Die Linke will ein Europa, in dem lesbische, schwule, bi, trans, inter und nichtbinäre (=queere) Menschen angstfrei, selbstbestimmt und sozial abgesichert leben können. Dieses Ziel ist in keinem Mitgliedsland der EU erreicht, auch wenn sich in einigen Ländern die rechtlichen Bedingungen für queere Menschen verbessert haben. Zugleich haben sie sich in anderen Ländern verschlechtert. Überall in der EU sind queere Menschen überdurchschnittlich von Armut und Ausgrenzung betroffen. Das zeigt sich besonders in der Arbeitswelt, im Bildungsbereich und der Gesundheitsversorgung. Auch die (Selbstbestimmungs-)Rechte von trans, inter und nichtbinären Personen werden noch nicht in allen EU-Mitgliedstaaten anerkannt. Die LGBTIQ-Gleichstellungsstrategie der EU-Kommission ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie muss jedoch um Problemlagen wie Wohnungslosigkeit, Isolation oder Gesundheitsversorgung ergänzt werden.“

Auffällig ist, dass sich die Sozialist*innen nicht auf den Menschenrechtsaspekt beschränken, sondern insbesondere soziale Herausforderungen für queere Menschen in dem Mittelpunkt stellen. Die Linke fordert mehr finanzielle Mittel für die Selbstorganisationen und Interessenvertretungen von queeren Menschen, die Erweiterung nationaler Aktionspläne gegen die Diskriminierung queerer Menschen und für ihre Gleichstellung in allen Mitgliedstaaten. Darüber hinaus fordert sie, dass kontinuierlich soziale Aspekte mitbetrachtet werden, damit auch sozioökonomisch schlechter gestellte Queers von den Programmen profitieren.

Weitere wichtige Punkte sind die Verfolgung von Gewalt insbesondere gegen trans, inter und nichtbinäre Menschen, eine bessere Prävention solcher Gewalt in allen gesellschaftlichen Bereichen, ein Selbstbestimmungsgesetz in allen EU-Mitgliedstaaten und die europaweite Gleichstellung von Regenbogenfamilien. Analog zu B90/ Die Grünen und FDP fordern die Sozialist*innen die Einhaltung von Menschenrechten weltweit und innerhalb der EU. Sie setzen den Fokus aber stärker auf humanitäre Visa für Geflüchtete.

Bei den Rechtsextremist*innen von der AfD liest man neben der normalen Hetze das Übliche: Alles was die Zweigeschlechterordnung der 40er und 50er Jahre in Frage stellt, sei „Genderideologie“, ein Skandal und ganz schlimm. Nix neues also von der Rechtsaußenpartei. Möge sie bald wieder in der Versenkung verschwinden.

Ich würde ja auch gerne etwas zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) schreiben – leider komplette Fehlanzeige. Das Wahlprogramm thematisiert sehr viel Wirtschaft, nur etwas Soziales und etwas Frieden. Inhaltlich ist für unser Thema queerer rechte einzig die Aussage interessant, dass die BSW „Cancel Culture“ ablehne, allerdings ohne zu erklären, was sie damit genau meinen. Queere Anliegen werden bei der BSW – glaubt man den bisherigen Aussagen und Verlautbarungen –  auf Ignoranz oder gar Ablehnung stoßen. Die aggressive Ablehnung des Selbstbestimmungsrechtes im Bundestag, die in ihrer Wortwahl noch die AfD übertroffen hat, lässt von der BSW nichts Gutes ahnen.

Fazit: Alles in allem scheint bis auf die traditionellen Befürworter*innen zum Thema Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linke wenig Bewegung im Themenfeld Queer zu sein. Bei Die Linke erscheint besonders gut, dass Queer konsequent mit sozioökonomischen Fragen zusammen gedacht wird. Bei den anderen Parteien geht eher der Zeigefinger nach außen, in Richtung anderer Länder. Hingegen werden eigene Defizite  ignoriert. Das lässt wenig Weiterentwicklung erwarten.

Ralf

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